Chillst du noch oder schläfst du schon?

Das Wort “Chillen” hat seinen Höhepunkt als Epizentrum des krass-coolen Soziolekts des Lumpen-Proletariats im frühen 21. Jahrhundert im deutschen Sprachraum inzwischen hinter sich gelassen. Und das ist auch gut so.
Was aufgeschlossene, Handytelefonate in öffentlichen Verkehrsmitteln führende Teenager aufzücken lässt (“Wie,…du bist am Chillen….?”) und Möchtegern-Rap-Artisten in ihre müden Mehrzeiler einbauen, ist inzwischen zum Mainstream der jugendlich-urbanen bürgerlichen Mitte in Deutschland geworden und fasziniert nur noch einige wenige hinter dem Mond der Sprachevolution hervorlugende Elfenbeinturmbewohner an staatlich geförderten Sonderforschungsbereichen. Das “Chillen” als Aktivität der jungen Generation eines vereinigten Deutschlands hat das Konzept der German “Gemütlichkeit” inzwischen weitgehend abgelöst.
Was auch in Übersee als Inbegriff des Relaxens vor dem Hintergrund des Feierabends und der Heimeligkeit — also kollektive Zeitmunster implizierned und daher bürgerlich — in einige Pamphlete Einzug gehalten hat, ist nunmehr nur ein Surrogat des ‘denglischen’ Sprachkonvoluts, für das wir VIVA und MTV so dankbar sein sollten.
Diese beiden, Riesenmaschinen (vgl. Theodor W. Adorno) gleich arbeitenden Institutionen prägen die Pragmatik einer Umgangssprache mehr als es ihnen und der Gesellschaft für Deutsche Sprache lieb sein kann.
Ist in Frankreich eine “Académie Francaise” selbstverständlich, um das kulturelle Erbe der “Grande Nation” zu sichern und zu pflegen, wird hierzulande nicht im Entferntesten an die Installation einer ähnlichen Einrichtung gedacht, geschweige denn eine ähnliche Maßnahme wie die “exception culturelle” in Betracht gezogen.
Dieter Gorny, dem als Papst des zeitgenössischen privaten Musikfernsehens eine Prophetenrolle innerhalb dieser Branche zukommt, lässt nur allzu gerne den Markt über Angebot und Nachfrage der bunten Videoclips, die im Flow (vgl. Raymond Williams) auf seinem ehemaligen Sendernetzwerk ruf und runter trudeln, entscheiden.
Ein Hinweismehr, der beweist, dass es vom Sozialen Bundesstaat zum ‘Market State’ (vgl. Philip Bobbitt) nicht mehr weit ist.

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