Margits Träume

tagebuch.jpgSperrmüll ist wunderbar. Andere Leute schmeißen Dinge weg, die man niemals wegschmeißen würde. Andere Leute laufen oder fahren dann herum und nehmen die Sachen mit. Und wenn man dann selbst da lang geht, dann sind alle tollen Sachen weg. Dieses Mal war es anders. Mein Fund: Margits Tagebuch. Ein mit häßlichen Omabildchen und kopierten Gedichten überfrachtetes Werk. Selten nur Persönliches und wenn, dann gerne Platitüden � la “Träume sterben nicht von alleine. Sie leben im Herzen weiter, bis wir sie selber kaputt machen.”

Doch zwischen Beschränktheit, Persönlichkeitskampf und Lebensverdruß finden sich unerwartete poetische Perlen.

Das Werk ist bereits zwanzig Jahre alt, wie die mittig zu findende und durchaus mittelmäßige “Inventur ’84” verrät. Über den Zeitraum kann nur spekuliert werden. Ihre anfänglich kindliche Schrift wird gen Ende reifer.

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Doch wer ist die “Dichterin”? Von einem Examen ist die Rede, später von Kindern und Unterricht. Eine Grundschullehrerin? Schnell wird klar, dass ein freudloses Leben vorliegt. Die gefühlskalte Gleichmäßigkeit der Schrift, die faschistoide Ordentlichkeit der Buchstaben machen die Autorin mit Nachdruck unsympathisch. Erst ihre nach Hoffnung suchende Libido gibt ihr die Kraft zu wahrem dichterischem Ausdruck. Die Wortgewaltigkeit ihrer Dichtkunst kommen so überraschend, wie ein von kleinen Kindern in den Rücken geworfener D-Böller Mitte Juli. Das Feuerwerk ihrer Lust treibt sie zu nicht gekannten Höhenflügen.

Ich möchte hier mein liebstes Gedicht dem geduldigen Leser zur Lektüre bieten:

“Trauerbett

Dies ist das Trauerbett
selbstauferlegter Enthaltsamkeit,
denn du bist Meilen und Gebirge entfernt
über Canyons, unter Kondensstreifen
und Cirruswolken von Ost bis West.
Kumuluswolken kopulieren
uns zum Verdruß,
und der harte Schwanz des Windes klopft
an die Bauch der Flugzeuge.

Wir sind nicht im Fluge
und wir seufzen auf unserem Trauerbett.
Dreitausend Meilen voneinander entfernt,
aber Erinnerung gespeichtert in des
anderen Augen und Hüften,
erfüllt von einander
sind wir leer für die Welt.

Ich fände einen Schwanz, mich zu stopfen,
doch zum Fliegen brächte er mich nicht.
Du fändest eine Möse, die dich umklammert,
aber du würdest nicht weinen
und nicht in ihre Schulter beißen,
nicht Eingang suchen in ihr Blut.”

Danke, Margit!

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