Über das Atmen – Leipzig (Tag 8)

Aufstehen, raus, Halle ansehen. Feuerzeugbenzin stinkt aus meiner Tasche. Dann Ausflug nach Leipzig. Auf dem Weg höre ich Grönemeyers „Mensch“-Album. Gefühl von Einsamkeit, graue Wolken, Tristesse. Aber der Zug fährt vorwärts, Neuem entgegen. „Dreh dich um / dreh dich um / dreh dein Kreuz in den Sturm / Geh gelöst, versöhnt, bestärkt / selbstbefreit auf dem Weg zum Meer“ (Zum Meer, Grönemeyer).

In Leipzig laufe ich planlos. Die Nikolaikirche wird zur Erlösung. Ich sitze auf der harten Kirchenbank und atme.

Was Atmen alles ausmacht. Was alles Atem ist. Der erste Schrei. Das tiefe langsame Heben und Senken, die Mutter beim Mittagsschlaf. Atmen. Asthmatisches Röcheln mitten in der Nacht, voll Panik, voll Angst. Hektisches Schnaufen, brennende Lunge auf der Flucht. Pfeifen. Schnarchen. Das stoßhafte Beben, wenn die Hand der Liebsten dir zärtlich über die Seite streicht. Atmen. Ein und Aus. Verzücktes Stöhnen, wenn man fällt, in die Kissen gepresst. Atmen. Rauchgeschwängerte Worte, gegen die Musik geschrien. Der Hauch eines vergänglichen Liebesschwurs an deinem Ohr. Seufzen. Ruckhaftes Schluchzen zwischen fließenden Tränen. Atmen. Bis zu diesem Moment, in dem das letzte Mal die Luft aus dir entweicht und unsichtbar die Seele zum Himmel haucht. Ein und Aus. Geliehene Luft. Ein. Aus. Aus.

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Gereinigt verlasse ich die Kirche, reihe mich wieder in den Strom. Meine Schritte sind verlangsamt. Bedächtiger, wertvoller. Innere Ruhe erfüllt mich.

Am Neuen Rathaus reihen sich Leichenwägen wie Taxen an ihrem Stand. An der Vorderseite verwaschene erodierte Figuren aus grauem Stein. Kaum noch lesbar „ Das Alte stürzt / es ändert sich die Zeit / und neues Leben / blüht aus den Ruinen.“